
Mit der Gorch Fock von SAiL zu SAiL
Mit der Gorch Fock von SAiL zu SAiL
Die SAiL, eines der größten Windjammer-Treffen Europas und der Welt, ein riesiges Volksfest mit maritimem Charakter, findet – sowohl in Bremerhaven als auch in Amsterdam – alle fünf Jahre statt. Eigentlich. 2020 fielen diese Veranstaltungen coronabedingt aus.
Man kann sich also unschwer vorstellen, wie groß allenthalben die Vorfreude auf beide Veranstaltungen war. Für neun verdiente Mitglieder des PYC wurde diese Freude durch den Kommandanten der Gorch Fock, FKpt Elmar Bornkessel, noch getoppt: Wir durften von Bremerhaven, wo die Gorch Fock zur SAiL 2025 festgemacht hatte, bis nach Amsterdam mitfahren!
Zum Einschiffen fanden wir uns am Sonntag, 17. August, in Bremerhaven ein. „Wir“, das waren: Matthias & Gabi Haller, Alice von Grotthuss, Hilkka und Klemens Kirstaedter, Christiane Woite-Retsinas & Jörg Trümner, Carsten Hanisch und ich, Sigrun Putjenter. – Auf der Pier rund um den Neuen Hafen wimmelte es von begeisterten Besuchern. Allein an diesem Sonntag standen über 5.000 Interessierte klaglos Schlange, um über die Decks der Gorch Fock spazieren zu können. Nachdem wir uns selbst noch ein wenig von den Menschenmassen um die Hafenbecken hatten schieben lassen, kehrten wir zu „unserem“ Schiff für die nächsten 3,5 Tage zurück und befassten uns mit ganz alltäglichen Herausforderungen wie dem Aufspannen der Hängematten, Bettzeug beziehen und Spinde einräumen. Die Vernunft trieb uns – nicht nur an diesem Abend – früh ins Bett bzw. die Hängematten. Schließlich wussten wir, dass das Wecken um 6 Uhr am nächsten Morgen für die Besatzung und uns als Gäste gleichermaßen galt.
„Reise, Reise – Aufsteh’n! Reise, Reise – Aufsteh’n! Wahrschau: Weiß!“ Mit dem letzten Wort war das unbarmherzig gleißende weiße Licht gemeint, dass vom Wachoffizier im selben Moment angeknipst wurde. Umdrehen und weiterschlafen war undenkbar.
„Waschen geht vor Schminken!“ hatten wir über einen Aushang am Mädelswaschraum gelernt, aber Chaos oder Gedrängel blieben komplett aus. Jede und jeder tappte etwas benommen seiner Wege. Unsere Hängematten mussten wir, im Unterschied zu den Besatzungsmitgliedern, zum Glück nur zusammenbinden, aber nicht abnehmen und abends neu spannen. Und so trafen wir uns alle bald in der PUO-Messe, der Messe, welche die Portepeeunteroffiziere großzügig während der nächsten Tage mit uns teilten. Beim Frühstück wurde der Tagesbefehl gelesen und interpretiert, in welchen Punkten wir evtl. eingebunden sein würden. Auf jeden Fall sollten wir bei der Morgen- und der Abendmusterung („Daily Stand-up“ sozusagen) dabei sein, alles weitere werde sich dann finden.
Spannend war gleich am Montag die Fahrt durch den Engpass der Klappbrücke zwischen Neuem Hafen und Kaiserhafen. Zwei Meter Spielraum rechts und links und eine Klappbrücke, die der Takelage beängstigend nahe kommt, lassen einen doch die Luft anhalten. Danach ging es durch die Schleuse auf die (Außen-)Weser. An Butjadingen vorbei, an Mellum vorbei, den Leuchtfeuern Robbenplate und Roter Sand – man fühlt sich ein bisschen, als sei die Übungskarte D 49 (Mündungen der Jade, Weser,Elbe) zum Lernen für den SBF See um einen herum ausgebreitet. Als Wangerooge querab lag, ging (vielmehr „sprang“!) der Lotse von Bord. Der Einsatzgruppenversorger Bonn überholte, dem adäquaten militärischen Gruß auf beiden Seiten folgte noch ein Heavy-Metal-Ständchen der Bonn. Man kennt sich. – Nachdem wir den Tag staunend, genießend, aber, abgesehen von einer umfassenden Sicherheitseinführung, soweit untätig verbracht hatten, ergab sich am Nachmittag für diejenigen, die es nach Bewegung gelüstete, die Gelegenheit, die Mannschaft zu unterstützen: ein erster Einsatz als Rudergänger. Erstaunlich, wie viel Kraft bei der Bewegung der drei Steuerräder zu sechst doch nötig ist! Am Abend luden der Kommandant, der Segel- und der Navigationsoffizier in die Offiziersmesse und sprachen mit uns über ihre Pläne für die Atlantiküberquerung zum termingerechten Einlaufen am 4. Juli 2026 in New York zum 250. Jubiläum der USA; ein vielschichtiges Puzzle, bei dem unterschiedlichste Faktoren bedacht sein wollen – vom Kurs bis zur Mülltrennung.
Den Sonnenuntergang genossen wir an Deck. Zu dem Zeitpunkt befanden wir uns auf der Höhe von Juist, allerdings war von den Ostfriesischen Inseln bis auf einige Leuchtfeuer nichts mehr zu sehen. Dafür leuchtete der Offshore-Windpark Nordsee One an Steuerbord klar und deutlich mit vielen kleinen roten Lichtern in den filigranen Schatten am Horizont.
Den Dienstagvormittag verbrachten wir überwiegend an Deck und konnten u. a. in der Ferne die „Unión“, das Segelschulschiff der Peruanischen Marine, ausmachen, das uns bereits in Bremerhaven, nicht zuletzt wegen seiner gigantischen Nationalflagge, aufgefallen war. Das Sinnieren über die seemännische Schicklichkeit, über die Toppen geflaggt auf der Nordsee unterwegs zu sein, wurde je durch einen Alarm unterbrochen: „Boje über Bord!“ Musterung auf dem Mitteldeck – wobei wir uns da nicht mit Ruhm bekleckerten, da uns teilweise nicht klar war, dass natürlich auch die Anzahl der Gäste auf Vollständigkeit überprüft werden muss – und dann herrschte geschäftiges Treiben. Zum einen mussten die Boje und der sogleich ausgebrachte Rettungsring im Auge behalten und deren Position angezeigt werden, zum anderen galt es, möglichst schnell ein Motorboot aufs Wasser zu bringen. Gewundert haben wir uns über die Absicherung des gesamten Vorgehens mit einer MP. Aber klar, es war ja eine Übung, und andere Gewässer sind durchaus reicher an hungrigen Haien als die Nordsee …
Zudem erhielten wir an den beiden Tagen auf See eine ganze Reihe von Einblicken in verschiedene Funktionsbereiche des Betriebs „Gorch Fock“: Vom buchstäblich tiefen Einblick in den Maschinenraum bis ganz hinten hin zur Propellerwelle, über eine Führung durch Kombüse und Vorratsräume durch die Smuts, die Besuche bei der Navigation im sog. Kartenhaus und beim Segelmacher, bis hin zur Visite in dem fensterlosen kleinen Kämmerlein gleich hinter dem Gym, in dem auf minimalem Raum das gesamte Versorgungswesen, inkl. Aktenführung, abgewickelt wird.
In den verbleibenden Zeitlücken haben wir noch versucht, uns nützlich zu machen. Schließlich waren da ja noch die vielen Meter Messingblech, die im Laufe des Tages poliert werden mussten, damit sich die Gorch Fock in Amsterdam von ihrer glänzendsten Seite zeigen konnte. Und auch die Rudergänger konnten zur Mittagszeit ein bisschen Unterstützung gebrauchen. – Unser Biorythmus pendelte sich an Bord jedenfalls sehr schnell ein, vor allem die Hungerphasen … (Und die Küche war vorzüglich!)
Am Mittwochmorgen ertönte das gefürchtete „Wahrschau: Weiß!“ bereits früh um 5 Uhr. Um kurz vor 7 Uhr kam schon der Lotse an Bord, und um 9 Uhr lagen wir in der weltgrößten Schleuse, der Zeesluis IJmuiden (500 m lang, 70 m breit, 18 m tief) zusammen mit mindestens acht weiteren Traditionsseglern und immer noch einer Menge Platz. Als sich das Schleusentor Richtung Nordseekanal um 10 Uhr öffnete, trauten wir alle unseren Augen kaum: Der Kanal war voll! Voller Boote und Schiffe unterschiedlichster Größe, die alle die offiziellen Teilnehmer, die Traditionssegler, begrüßen und mit ihnen in der festgelegten Reisegeschwindigkeit von 6 km/h die Einlaufparade nach Amsterdam fahren und feiern wollten.
Ein orangefarben qualmender Salutschuss eröffnete die Parade für den Klipper Stad Amsterdam, der die bunte Wasserschlange anführte. An Bord der Gorch Fock wurden jetzt die Segel gesetzt, und da wir uns inzwischen als einigermaßen brauchbar erwiesen hatten, durften wir mithelfen! Ein tolles Gefühl! Mit 17 gesetzten, von insgesamt 23, Segeln (darunter fast alle Stagsegel, jeweils die oberen vier an Vortopp und Großtopp sowie das untere Besansegel) glitten wir, geschützt durch jeweils einen Schlepper am Bug und einen am Heck, die 21 km nach Amsterdam. Die Stimmung auf dem Wasser wie an Land war phänomenal! Auf den Deichen standen die Menschen oftmals in mehreren Reihen hintereinander oder campierten gleich mit Picknickmöbeln, um gemütlich die Parade abzunehmen. Auf dem Wasser befand sich anscheinend alles, was irgendwie schwimmfähig war. Nach zehn Jahren Abstinenz feierten die wassersportaffinen Niederländer die SAiL 2025 und gleichzeitig den 750. Geburtstag der Stadt Amsterdam sowie das 10. Hafenfest der Stadt. Auf einer Landzunge gegenüber dem Amsterdamer Hauptbahnhof waren eine Kapelle und weitere Kanonen positioniert, welche die Ankunft eines jeden Großseglers mit der jeweiligen Nationalhymne sowie einem Salutschuss, gefolgt von Rauch in den Landesfarben, begrüßten. Es war zutiefst beeindruckend!
Etwa eine halbe Stunde nachdem sich der uns zugedachte schwarz-rot-gelbe Qualm gelegt hatte, liefen wir in den IJhaven ein, halfen, die Segel zu bergen (von Deck aus, für das Aufentern benötigt man inzwischen eine besondere Ausbildung und absolviert eine Prüfung!) und hievten z. T. auch die Stelling mit über Bord. „Ja, klar können Sie helfen. Bringen Sie Ihre Mannschaft gleich mit!“
An Land herrschte bald dasselbe Gedränge wie in Bremerhaven (rund 9.000 Besucher allein auf der Gorch Fock an den zwei Tagen des Open Ship), und auch der Strom der Feiernden auf dem Wasser riss nicht ab. Eine stetige, recht geordnete Schlange von Booten strömte aus dem Kanal in den IJhaven, wendete am Ende des Hafenbeckes um eine imaginäre Tonne und strömte mit gebührendem Abstand zur Gegenrichtung wieder hinaus. Über Stunden. Bis zum Einbruch der Dunkelheit! – Das Höhenfeuerwerk war von unserem Liegeplatz aus kaum zu sehen, viel netter war aber auch das Abschiedstreffen mit einer Reihe von Besatzungsmitgliedern, die uns in den vergangenen Tagen besonders betreut hatten, darunter neben unserem bisherigen Ansprechpartner, dem Wachtmeister Steffen Kreidl, auch unser neuer Verbindungsmann, Funkmeister Peter Böhning. Und sogar der Kommandant kam nach einem an Land absolvierten Empfang noch in der PUO-Messe vorbei!
Am Donnerstagvormittag gingen wir nach einem ganz besonderen Törn von Bord: von einer SAiL zur nächsten, an Bord der Gorch Fock, gemeinsam mit unserem PYC-Ehrenmitglied OStBm Steffen Kreidel auf seiner letzten Fahrt vor der Pensionierung! Wir danken dem Kommandanten an dieser Stelle noch einmal sehr herzlich, dass wir dabei sein durften und grüßen die vielen freundlichen Soldatinnen und Soldaten sämtlicher Dienstgrade, die ihr Schiff mit uns geteilt haben und denen wir in dieser Zeit Löcher in den Bauch fragen durften. Es war faszinierend zu erleben, wie ein so großes Schiff „funktioniert“ – die Notwendigkeit hierarchischer Strukturen zum Gelingen des großen Ganzen, die gleichzeitige Bedeutung eines jeden Einzelnen, die Unverzichtbarkeit klarer Kommunikation und Strukturen und nicht zuletzt Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft oder kurz: Kameradschaft. Die Sinnhaftigkeit eines Segelschulschiffs als Ausbildungsort für zukünftige Führungskräfte ist augenfällig, und auch ihre nicht minder bedeutende Rolle als diplomatisches Aushängeschild Deutschlands füllt die Gorch Fock glänzend aus!
Im Namen der Reisegruppe
Sigrun Putjenter