Die Gorch Fock kurz vor der Startlinie

31. August 2021
Kategorie: 
Club

Eigentlich war es nur eine planmäßige Inspektion, die die Gorch Fock im Dezember 2015 in die Werft führte. Was in den kommenden Wochen, Monaten und schließlich Jahren folgte, war ein zäher Kampf um das Überleben des Segelschulschiffs. Der Kommandant, Kapitän Nils Brandt, wird in der Folge nicht aufgrund der gesegelten Seemeilen in die Annalen eingehen, sondern weil er es – zusammen mit seiner Besatzung – geschafft hat, diese einzigartige Ausbildungsstätte für den Führungsnachwuchs der Marine gegen alle Anfeindungen der Presse und Politik sowie gegen die (Ein-)Sparpläne ihres obersten Dienstherrn zu verteidigen.
Am 23. August 2021, genau 63 Jahre nach dem Stapellauf der Gorch Fock, hatte Kapitän Brandt den Vorstand des Potsdamer Yacht Club zu einer Besichtigung des Schiffes nach Lemwerder eingeladen. Die kleine Reisegruppe betrachtete das Segelschulschiff bereits kurz nach der Ankunft mittags von der gegenüberliegenden Weserseite voller Bewunderung und Vorfreude. Am späten Nachmittag, nachdem die Arbeiten am Schiff für diesen Tag weitgehend abgeschlossen waren, empfingen uns dann Kapitän Brandt und Oberstabsbootsmann Steffen Kreidl. Vom „Knurrhahn“, dem Marinewohnschiff  „Y811“, aus gesehen wirkte der stolze Dreimaster so, als könne er nun, nach fast sechs Jahren der Sanierung, jederzeit in See stechen. Und tatsächlich soll die Gorch Fock die Lürssen Werft am 1. September in Richtung Wilhelmshaven verlassen, nach 2.332 Werfttagen! Doch Kapitän Brandts Optimismus schien ein wenig verhalten – und bei näherer Betrachtung des Segelschulschiffs wurde schnell deutlich warum. In zwei Gruppen führten uns Kapitän Brandt und  Oberstabsbootsmann Kreidl über die Gorch Fock, deren Deck attraktiv, aufgeräumt und einsatzbereit aussieht, während der Weg unter Deck von Kabeln und Planen – allen Anzeichen einer Baustelle – gesäumt war. Da kommt der größte Optimist ins Grübeln. Wie kann hier innerhalb von acht Tagen ein segelfertiger Zustand erreicht werden?
Überhaupt scheint der Bereich unter Deck die meisten Probleme zu bergen: Durch den Einbau einer Lüftungsanlage sind die Deckenhöhen auf ein Maß gesunken, welches Menschen von mehr als 1,75 m Körpergröße an etlichen Stellen keinen aufrechten Gang (oder Duschen in aufrechter Haltung) ermöglicht. Der Innenausbau ist routinemäßig auf der Annahme basierend durchgeführt worden, dass alle Wände senkrecht sind. Dadurch wurde zu den (selbstverständlich schräg verlaufenden) Außenwänden hin viel Platz verschenkt.
Im Vergleich zu früher mangelt es aber nicht nur merklich an Raum, sondern an der einen oder anderen Stelle auch an dem historisch charmanten Stil. Von „Luxussanierung“, wie in der Presse zu lesen stand, kann keine Rede sein, wenn weiße Kunststoff-Oberflächen selbst in den Räumlichkeiten des Kommandanten bzw. in der Offiziersmesse für die Anmutung einer Fähre sorgen und einen ansonsten vielfach blanker Edelstahl auf Schritt und Tritt begleitet. Die schöne, sorgfältig ausgebaute Kirschbaumeinrichtung der Offiziersmesse ließ die Werft durch mangelhafte Lagerung verkommen, so dass ein erneuter Einbau nicht mehr möglich war. Das Mobiliar der Kommandantenkabine wurde pfleglicher behandelt, jedoch rechnete die Werft vor, dass eine Wiederverwendung teurer sei als eine Neuanfertigung – und diese würde wiederum den Zeitplan gefährden.
Obgleich grundsätzlich natürlich die Freude darüber überwiegt, dass letztlich der politische Wille da war, die Sanierung der Gorch Fock abzuschließen und das Segelschulschiff weiterhin zur dringend notwendigen, adäquaten Ausbildung der jungen Offizieranwärter zu nutzen, so schleichen sich doch immer wieder Ärger, Verwunderung und Mitleid ein. Ärger darüber, dass ein historisches Schiff nicht, gleich einem Baudenkmal, einen entsprechenden Schutz erfährt; Verwunderung, dass nicht viel mehr auf die Expertise der unmittelbaren Nutzer, die ihr Schiff in- und auswendig kennen, gehört wurde; Mitleid, weil die Besatzung zukünftig mit so mancher teuren „Verschlimmbesserung“ wird leben müssen und Kritik angesichts der – nicht zuletzt durch die Presse forcierten – weitverbreiteten negativen Grundstimmung kaum  zielführend erscheint.
Das Deck dagegen hebt sich in jeder Hinsicht positiv davon ab. Hier hatten Kapitän Brandt und seine Mannschaft deutlich größere Mitsprachemöglichkeiten. Die Augen in der Takelage wurden so modifiziert, dass fast keine Schäkel mehr benötigt werden, sondern die Blöcke mehr oder minder direkt verbunden werden können. Dadurch ergibt sich ebenso eine Gewichtsersparnis wie durch die nunmehr verwendeten HydraNet-Segel, die durch ihre Netzstruktur eine gleichbleibende oder gar höhere Festigkeit bei deutlich geringerem Gewicht (350 g statt ehemals 660 g) aufweisen. Zwar musste man sich daraufhin Gedanken um die Verlagerung der Sollbruchstellen machen, insgesamt konnte dadurch sowie durch die Verwendung modernen, festeren Stahls im Bereich der Masten und Rahen (Senkung der Wandungsstärken nahezu durchgängig um 2 mm) das Gewicht der gesamten Takelage um 11 t reduziert werden.
Interessant sind auch die vier Testfelder alternativer Deckbeläge, die sich auf dem Vorschiff befinden. Hier fährt die Gorch Fock eine Testreihe für das Thünen Institut für Holzforschung. Innerhalb von zwei Jahren soll die Wirkung von Salzwasser auf Itauba, Iroko, Afzelia sowie „Tesumo“, ein thermisch und chemisch modifiziertes weißes Limba-Holz, getestet werden. Ziel ist es, der Gesellschaft für Holzverarbeitung anschließend eine Empfehlung geben zu können, welches Holz im Salzwasserbereich als Alternative zu Teak in Frage kommt. Gereinigt werden die Hölzer übrigens ausschließlich mit Wasser, grüner Seife und allenfalls ein wenig Sand. Die Holzschicht ist außerdem nur noch max. 30 mm stark und sitzt auf einem Korkunterbau, der erheblich zur thermischen und akustischen Isolierung beitragen und zudem Gewicht sowie Kosten sparen soll. Darüber hinaus konnte der Verschnitt durch die Anwendung von Lasertechnologie drastisch verringert werden. Die Liste der weiteren Verbesserungen an Deck ist lang. Der Input für uns Gäste war enorm, so dass wir schließlich der Einladung in die Offiziersmesse des „Knurrhahn“ dankbar Folge leisteten. Gemeinsam mit Kapitän Brandt,  Oberstabsbootsmann Kreidl, dem ersten Offizier, Fregattenkapitän Riechelmann, sowie Frau Kapitänleutnant Ludwig und Oberleutnant zu See Fuchs wurde beim köstlichen Essen weiter über die Sanierung des Dreimasters sowie auch die nächsten Besuche im Potsdamer Yacht Club gesprochen.
Wie geht es also ab dem 1. September weiter? – Nach der Verlegungsfahrt, bei der u.a. technische Erprobungen, darunter der Test des Motors und weiter Teile der Schiffstechnik, stattfinden, wird die Bark am 2. September im Marinestützpunkt in Wilhelmshaven erwartet. Dort erfolgen die Endausrüstung, weitere Tests und Abnahmen durch die Marine. Erst wenn die nötige Anlagenkenntnis erworben wurde und Betriebssicherheit gewährleistet ist, kann im Rahmen der Werftprobefahrt in Richtung Heimathafen aufgebrochen werden. Zuvor wird am 27. September die Stammbesatzung komplettiert, so dass am 1. Oktober 122 Mann Stammbesatzung (davon je zur Hälfte Frauen und Männer in den Offiziersrängen) Kurs auf Kiel nehmen werden. Das Einlaufen in Kiel stellt gleichzeitig symbolisch die Übergabe des Schiffes an die Marine dar.
Im Heimathafen angekommen findet zunächst die Einzelausbildung statt, bevor voraussichtlich in der ersten Novemberwoche die Seeklar-Besichtigung durch den Kommandeur der Marineschule erfolgen kann. Damit wird die Berechtigung erteilt, außerheimische Gewässer zu befahren. Ab dem 10. November soll dann mit der Segelausbildung der Stammbesatzung auf dem Weg zu den Kanarischen Inseln begonnen werden. Auf Teneriffa wird ab dem 21.12. ein Weihnachts- und Neujahrsstopp eingelegt. Die ersten 80 Kadetten kommen am 3. Januar an Bord. Mitte Februar wird in Malaga gewechselt, dann folgt der zweite Teil der Offizieranwärter. Mit diesen will man am 25. März wieder in Kiel eintreffen. Nur wenig später, nämlich am 31. März, verlassen Kapitän Brandt und der erste Offizier Riechelmann die Gorch Fock. „Bewegende Momente,“ meint Kapitän Brandt, „aber es wird dann auch Zeit.“ Sein Nachfolger warte immerhin schon vier Jahre, auf seinen Posten zu kommen. „Und dadurch, dass wir noch eine fünfmonatige Reise zum Ende haben, ist das natürlich ein schöner, versöhnlicher Abschluss.“

Dem Kommandanten und seiner Crew sei an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich für die großzügige Einladung und ihre Gastfreundschaft gedankt! Wir wissen diese besondere Nähe zur Gorch Fock sehr zu schätzen und freuen uns schon auf die Gegenbesuche im PYC. Für die Bewältigung letzten Hürden vor dem erneuten Auslaufen aus dem Heimathafen drücken wir alle Daumen! Fair winds and following seas!

Sigrun Putjenter

Fotos: SP & Irene Schifferer